Künstlerische Doppelbegabungen
Im Anfang war das Wort !
Nein ! Am Anfang war das Bild, denn bevor die Menschen die Sprache entwickelten, mußten sie mit dem zurechtkommen, was sie sahen und an Geräuschen hörten und so schärfte sich vor allem der Sehsinn und das Gehör. Und auch wenn wir heute mit einem Baby in Kontakt treten, beschränkt sich unsere Sprache meist auf ein „Dutzi, dutzi, dutzi“ und egal , was wir sonst sagen, kann das Baby mit dem Inhalt der Worte noch nichts anfangen, wohl aber studiert es vor allem intensiv unser Gesicht und hört auf den Tonfall unserer Worte, die für das Baby nichts anderes sind, als Geräusche.
„Ein Bild sagt mehr als Tausend Worte“. Eine Plattitüde, aber fast wahr. Ich würde sagen, ein Bild kann mehr sagen als tausend Worte. Und ich hoffe doch sehr, daß mit den gut tausend Worten dieses Beitrages mehr gesagt wird, als mit einem Alltagsfoto. Doch tut sich das Wort schon schwer, mit dem Bild in Konkurrenz zu treten. Eben weil die Bildverarbeitung beim Menschen schon so viele Millionen Jahre eine überlebensnotwendige Rolle gespielt hat, im Gegensatz zum Wort.
Das Bild hat den Vorteil, daß es im Sekundenbruchteil wirkt. Blitzschnell. Es ist also nicht an die Zeit gebunden. Überlebensnotwendig ! Schimpansen sind in der Lage sich 20 Bilder gleichzeitig innerhalb einer viertel Sekunde einzuprägen und danach die Position jedes einzelnen Bildes auf dem Bildschirm wiederzugeben. Auch dafür benötigen sie nur wenige Sekunden. Das Wort dagegen, vor allem das geschriebene, braucht die Zeit, so daß ich mir mittlerweile sehr gut überlege, ob ich ein Buch zu lesen beginne, wissend, daß mich das 30 Stunden Lebenszeit kostet. In diesen 30 Stunden könnte ich 30 Tausend Bilder ansehen und „tindern“, denn es genügen mir vier Sekunden um ein Bild in seiner Gesamtheit zu erfassen. Jeder hat seinen eigenen Zugang zum Bild. Meiner ist ein intuitiver, der nicht primär über den Kopf geht.
Schreiben funktioniert anders als Malen. Zunächst einmal hat Schreiben den Vorteil, daß ich alles problemlos korrigieren kann, oft sogar muß. Wie oft muß man beim Malen, vor allem beim Abstrakten, erleben, daß man das Bild „übermalt“ hat, in dem Sinne, daß man nicht rechtzeitig aufgehört hat. „Verdammt, vorhin war’s perfekt, warum hast Du Idiot nicht aufgehört“ Das ist ein Vorteil beim digitalen Malen, daß man, wenn man die Disziplin aufbringt regelmäßig zwischenzuspeichern, wieder zurückspringen kann, wenn man es verhunzt hat.
Kurz gesagt, beim Malen gibt es kaum ein Zurück, beim Schreiben schon. Zudem hat man beim Schreiben heute die Möglichkeit, selbst wenn das Buch fertig ist, problemlos aus John eine Jane zu machen und den Hund durch eine Katze zu ersetzen, wenn man das passender findet.
Bildende Künstler sind in der Regel im Umgang mit dem Wort weniger versiert, manche halten es nicht mal für nötig, ihre Werke zu betiteln. Nur selten ist es aber angebracht einem Bild den Titel Ohne Titel zu verpassen. In den allermeisten Fällen gewinnt ein Werk enorm an Aussage, wenn es einen Titel trägt, ja manche Werke erhalten überhaupt erst durch diesen ihre Aussage. Gerade beim aleatorischen Malen, und bei abstrakten Werken spielt der Zufall meist eine große Rolle, ist es von großem Reiz für das fertige Werk einen Titel zu suchen.
Umgekehrt kommt ein Schriftsteller selten auf die Idee, sich auch bildlich auszudrücken. Die wenigen Ausnahmen bezeichnen wir als Doppelbegabungen. Johann Wolfgang von Goethe hat auch gezeichnet und Hermann Hesse italienische Landschaftsaquarelle gemalt, wobei ich denke, daß sich für ihre Bildwerke heute kaum jemand interessieren würde, wenn da nicht die Berühmtheit als Schriftsteller wäre.
Anders verhält es sich z.B. mit Günther Grass und Janosch, bei denen das Geschriebene und das Gemalte oder Gezeichnete eine Symbiose eingehen und einen künstlerischen Mehrwert schaffen. Doch ist das bildnerisches Werk von Grass auch durchaus als eigenständig zu betrachten, obschon ihm sicher auch dadurch mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird, da es eben vom bekannten Schriftsteller stammt. Es ist eben auch für seine Leser interessant, wechselseitige Bezüge zwischen seinem Schreiben und seinem Zeichnen und Malen zu schaffen. In beidem spielt bei Grass natürlich der Fisch eine zentrale Rolle und ich kann mir gut vorstellen, daß Günther Grass eine nicht allzu weit zurückliegende Inkarnation als ein solcher durchlebt hat, ist ihm doch auch ein wenig von dessen Aussehen zu eigen.
Natürlich, Michelangelo und das Multitalent Leonardo da Vinci oder der hochbegabte Illustrator Gustave Doré mit seinen Tierfabeln und Werken wie Les Travaux d’Hercule (1867), eine humorvoller Neuerzählung der zwölf Heldentaten des Herkules, Contes drolatiques (nach Honoré de Balzac, 1855) eine teils umgeschriebene Sammlung humoristischer, burlesker Erzählungen oder L’Alsace – Pendant l’invasion“ (1870/71) , eine Sammlung von Texteindrücken zur deutschen Invasion im Deutsch-Französischen Krieg und Fables de La Fontaine“ (1868) denen er noch eigene Fabeln hinzugefügt hat. Alles Werke, die er zudem selbst illustriert hat. Über die Qualität seines schriftstellerischen Werkes kann ich hier leider keine Meinung äußern, da ich bekennen muß, daß sich diese Bücher noch auf meiner LUB, der Liste ungelesener Bücher, befinden.
Alfred Kubin war mit seinen düsteren, meist surrealistischen Zeichnungen ein genialer Bildner der mit seinem selbst illustrierten Roman „ Die andere Seite“ , der zu meinen Lieblingsbüchern zählt und der den Vergleich mit Edgar Allen Poe nicht zu scheuen braucht, zeigte, welch großes schriftstellerische Talent in ihm schlummerte und erwachte, doch hat er sich eben überwiegend des bildnerischen Ausdrucks bedient.
Warum habe ich immer auch diesen Edgar Allen Poe im Hinterkopf, wenn es um malende Schriftsteller geht ? Ich denke es liegt daran, daß viele seiner Werke von verschiedenen Künstlern illustriert wurden, sowie an seiner dichten, malerischen Sprache. Doch ist nicht bekannt, daß er auch gemalt oder gezeichnet hat.
Natürlich haben viele Maler auch Essays, vor allem über die Kunst, und Autobiographisches geschrieben, da sich künstlerisches Schaffen nicht unbedingt durch das Kunstwerk selbst erklärt.
Georges Grosz hat scharfsinnige Essay über das politische Zeitgeschehen geschrieben, die das, was er mit seinen Karikaturen zum Ausdruck bringt, nochmal in Worten verdeutlicht.
Und auch Friedrich Dürrenmatt, der den meisten nur als Schriftsteller bekannt ist, hat ein viel zu wenig beachtetes Werk an Bildern und Zeichnungen hinterlassen, das sich allemal auf Augenhöhe mit seinem schriftstellerischen befindet.
Verglichen mit der Vielzahl bedeutender Schriftsteller und Maler, ist die Anzahl derjenigen, die durch ihre Doppelbegabung in Erscheinung getretenen sind, aber eher gering und so kann man, denke ich, schon davon ausgehen, daß beiden Ausdrucksformen, der mit Worten und der mit Bildern, zwei getrennte „Mindsets“, wie man heute so zu sagen pflegt, zugrunde liegen.
Vielleicht könnte man sagen Schriftsteller sind oft Denker, die in Sprache und Konzepten navigieren. Malende sind meist Empfindende, die in Farben und Formen denken. Und doch scheinen manche Schriftsteller mit dem Mindset eines Malers zu schreiben und manche Maler ihre Pinselstriche in einer Art zu setzen, wie ein Schriftsteller Worte aneinanderreiht.
Nur eines bleibt dem Maler vorbehalten, das aleatorische Schaffen, also dem Zufall einen Raum zu geben. Natürlich wird fast jeder Schriftsteller die Erfahrung gemacht haben, daß seine Geschichte während des Schreibens einen anderen Weg einschlug, als er vorgesehen hatte, doch würde ich dies nicht als Aleatorik bezeichnen. Der Maler aber kann, wenn er will, der Aleatorik die gesamte Pinselführung überlassen.